Untersuchungen zum Anwesen Obere Hauptstr. 21 in Hockenheim

Das Grundstück gehört zu dem Bereich von Hockenheim, welcher wegen seiner Nähe zu den beiden „Freihöfen", um die herum sich der Ort ursprünglich entwickelte, schon seit dem frühen Mittelalter bebaut ist. Nach Osten grenzte es ursprünglich an den Dorfgraben , der auch in jener Zeit ausgehoben wurde. Die Art der Bebauung und die Nutzung dürften über Jahrhunderte weitgehend derjenigen der benachbarten Anwesen entsprochen haben (vgl. Objektbeschreibung zu Nr. 17/19).

Ab etwa 1710 musste der Ortsetter erweitert werden, weil nach Überwindung der schlimmsten Folgen mehrerer Kriege, Seuchen und Missernten und infolge Zuwanderungen die Einwohnerzahl wieder anstieg. So wurde beschlossen, auf beiden Seiten des Feldweges „Im Dorfgraben" (heute: Ottostrasse.) Bauplätze für neue Hütten zu schaffen. In östlicher Richtung war das kein Problem, denn dort war freies Feld. Um jedoch nach Westen hin das Ziel zu erreichen, war es erforderlich, von den Anwesen entlang der Oberen Hauptstraße den hinteren Teil der Gärten wegzumessen. Das ging sicher nicht ohne Proteste ab, denn wer wollte schon einen Teil seines wertvollen Geländes hergeben. Die Lösung des Problems war vermutlich entweder ein finanzieller Ausgleich oder ein Geländetausch. Trotzdem blieben wohl Vorbehalte noch längere Zeit bestehen. Als steingewordener Ausdruck demonstrativer Abgrenzung dürfte hinsichtlich des hier beschriebenen Anwesens eine noch heute zur Hälfte bestehende Grenzmauer aus rotem Sandstein anzusehen sein. Die Steine stammen sehr wahrscheinlich vom damals noch eifrig genutzten „Ersatz-Steinbruch", den die Burgruine Wersau in Reilingen lange darstellte.

Wie der erste bekannte Stadtplan aus er Zeit um 1650 erkennen lässt, war das Anwesen schon damals überbaut mit Wohngebäude, Scheune, Schuppen, diversen Ställen und Waschküche, sodass vom ursprünglichen Nutzgarten schon damals kaum noch etwas vorhanden war. In der Nachfolge einer Reihe von armseligen Hütten, die über Jahrhunderte immer wieder aus Holz, Lehm, Stroh und Schilf zusammengezimmert worden waren, erfolgte zur Hauptstraße hin der Bau des ersten Wohnhauses mit Außenmauern aus Natur- und Backsteinen, ziegelgedecktem Dach und teilweiser Unterkellerung wohl gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

Das älteste von uns ausgewertete Dokument über das Anwesen datiert aus dem Jahr 1865 und gibt auf ungewöhnliche Weise noch heute Einblick in ein offenbar tragisches Familienschicksal. Im März jenes Jahres ist ein Ludwig Eisinger, „Bürger und Kaufmann hier", als Eigentümer des Objekts im Grundbuch erwähnt. Da er noch recht jung war, ist es wahrscheinlich, dass er es von seinem Vater geerbt und nicht von Dritten erworben hat. Kurz danach scheint sein Stiefvater, der „Bürger und Bierbrauer" Friedrich Trauz ebenfalls gestorben zu sein, denn Ludwig Eisinger bestellte ein für die damalige Zeit ungewöhnliches Wohnungsrecht zu Gunsten seiner Mutter Eva Katharina geb. Zahn und deren insgesamt sechs noch minderjährigen Kindern aus zwei Ehen. Das waren aus 1. Ehe seine Geschwister Peter, Susanna und Magdalene Eisinger und aus 2. Ehe seine Halbgeschwister Elise, Franz und Jakob Trauz. Dieses Wohnrecht galt „bis zum Tode der Mutter und solange sie (die Kinder) ledig sind". Eva Katharina hatte beide Ehemänner recht früh begraben müssen und der älteste Sohn sorgte dafür, dass sie und seine Geschwister bzw. Halbgeschwister wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten, für den Fall, dass auch ihm etwas passieren sollte.

Genau das geschah offenbar im Jahr 1873, denn als nächster Grundstückseigentümer wird Georg Eisinger eingetragen, der noch minderjährige Sohn aus seiner Ehe mit Susanna geb. Seitz, welche schon vor ihm verstorben war. Zum Vormund des Waisenkindes Georg wird Ludwig Zahn bestellt, vermutlich ein Bruder seiner Großmutter Eva Katharina. Sechs minderjährige Kinder, die Mutter verstorben, kein Ernährer: Mangel und Not waren sicherlich Dauergast und konnten wohl nur durch die Unterstützung seitens der Verwandten und anderer Wohltäter, sowie möglichst frühe Verheiratung der Kinder gemildert werden.

Die wirtschaftliche Notlage dürfte auch der Grund gewesen sein, warum das Anwesen letztlich nicht gehalten werden konnte und im Jahr 1876 versteigert werden musste. Erwerber war Peter Adolf II, „Wirt und Landwirth von hier". Dass gerade ein Wirt das Anwesen ersteigerte, lag vermutlich daran, dass dort zu Lebzeiten des Bierbrauers Friedrich Trauz an das vorhandene „Wohnhaus mit Balkenkeller ein Brau- und Brennhaus angebaut" worden war und seither selbstgebrautes Bier ausgeschenkt wurde. Warum Peter Adolf II. die Gaststätte bereits nach nur vier Jahre wieder verkaufte, ist nicht mehr bekannt. Zwar spricht einiges dafür, dass einer dieser Männer die Gastwirtschaft mit der Bezeichnung „Zur Traube" versehen hat, obwohl dieser Name für eine reine Bierkneipe ungewöhnlich gewesen wäre, doch konnten wir diesbezüglich keine Dokumente finden. Wenn das Gebilde, welches über dem Hoftor prangt, wirklich von Anfang an einen Traubenhenkel darstellen soll, dann ist er wohl seinerzeit als eine Art Wappen entstanden.

Dem Peter Adolf II. folgte als Eigentümer der aus Rohrbach stammende Bierbrauer Georg Förster. Er war offenbar eine ideenreicher, kluger und fleißiger Mann, der mit seiner spätere und wesentlich jüngeren Ehefrau Elisabetha geb. Heilmann, einer gebürtigen Hockenheimerin, ein erfolgreiches Paar bildete. Ein kluger Schachzug der beiden war es beispielsweise, den Namen der Gastwirtschaft in „Badischer Hof" zu ändern. Sie brachten damit ihre Loyalität gegenüber der großherzoglich badischen Herrschaft zum Ausdruck, was wohl von der Obrigkeit mit Wohlwollen registriert wurde, denn die örtliche Gerichtsbarkeit (der„Kleine Ausschuss" und der „Große Ausschuss") hielten fortan dort regelmäßig ihre teilweisen öffentlichen Sitzungen ab, was sicherlich umsatzsteigernd war. Deutlich wird dadurch auch, dass die Gasträume zumindest um ein Nebenzimmer erweitert worden waren und vermutlich das ganze Erdgeschoß umfassten, während die Familie mit dem Obergeschoß vorlieb nehmen musste. o

Das Wirtspaar Förster sorgte 20 Jahre lang nicht nur mit selbstgebrautem Bier für das Wohl der Gäste, sondern auch durch ein vielfältiges Speiseangebot, dessen Bestandteile weitgehend in den Ställen im Hof und durch die eigene Landwirtschaft produziert wurden (z.B. Schweine- und Geflügelfleisch, Geräuchertes, Eier, Milch, Mehl, Kartoffeln, Gemüse). Abgerundet wurde das Angebot mit Schnäpsen, die teilweise auch aus eigener Brennerei stammten. Das Ehepaar Förster und ihr Unternehmen waren also weitgehend autark . Lediglich einige Spezialitäten wurden zugekauft, wie diverse Schnapssorten und Most von der benachbarten Küferei Engelberth sowie die Weine.

Ab Mitte des Jahres1900 wurde das Gasthaus verpachtet an Josef Kraus III., dem sieben Jahre später der „Wirt und Koch" Franz Blacher folgte. Nächster Konzessionär war bereits gut ein Jahr danach der eine Schnapsbrennerei betreibende Nachbar Johann Engelberth, welcher wiederum zwei Jahre später, also 1910, durch den Buchdrucker Konrad Schlampp abgelöst wurde. Dieser hat die Wirtschaft bis etwa 1917 betrieben und sie dann vermutlich wegen Unwirtschaftlichkeit (fast alle jungen Männer waren im Krieg und das Geld wurde knapp) aufgegeben.

Angesichts der offenkundigen kaufmännischen Fähigkeiten des alten Wirtes Georg Förster ist denkbar, dass er den Wirtshaus-Namen „Badischer Hof" gegen angemessene Bezahlung dem Jakob Auer („Metzger und Wirt") angeboten hat. Dieser plante ab etwa 1916 schräg gegenüber den Neubau einer großen Gaststätte und konnte einen bestens eingeführten Namen dafür gut gebrauchen. Möglicherweise hat der Investor Auer bei seiner Planung auf einen Sieg der deutschen Truppen gesetzt und damit auf das falsche Pferd, denn als er die neue Wirtschaft im Jahr 1919 eröffnen konnte, war der 1. Weltkrieg verloren und mit dem Badischen Großherzog war auch sein Hof verschwunden. Trotzdem verstand es der neue Wirt, seine große Gaststätte erfolgreich zu führen und seine Nachfolger machten es zeitweise zum führenden Restaurant der Stadt (heute Commerzbank).

Die Meinung der allermeisten Hockenheimer und sogar des Heimatforscher Ernst Brauch, dass die alte Gaststätte immer „Zur Traube" hieß, hängt sicherlich damit zusammen, dass auf dem Schlussstein des alten Torbogens der Hofeinfahrt ein blauer Traubenhenkel zu sehen ist. Da aus diversen Dokumenten eindeutig belegt ist, dass Name des Hauses ab etwa 1880 in „Badischer Hof" geändert worden war, kann allein das kleine Kunstwerk dafür „verantwortlich" gemacht werden, dass die richtige Namensgeschichte schon in den dreißiger Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten war. Dies wohl deshalb, weil mit der Bezeichnung „Badischer Hof" nur noch die seit 1919 existierende neue Gaststätte schräg gegenüber in Beziehung gebracht wurde. Oder sollte es sogar so sein, dass ursprünglich eine Hopfendolde dargestellt worden war, die Jahrzehnte nach Schließung der Gaststätte als Traubenhenkel gedeutet und entsprechend restauriert wurde ?

Schon im Jahr 1909 hatte Georg Förster seine Ehefrau Elisabetha zur Miteigentümerin des Anwesens gemacht. Nach seinem Tod im Jahre 1922 fiel ihr auch sein Anteil zu. Sie ließ das

Erdgeschoß wieder für Wohnzwecke herrichten und vermietete es, während sie selbst im Obergeschoß wohnen blieb. Verglichen mit dem früheren Wirtshaustrubel ging es im Haus rund 30 Jahre recht ruhig zu.

Erst im Jahr 1954 kam neues gewerbliches Leben auf das Anwesen. Seinerzeit stand es zum Verkauf, da der Erbe der verstorbenen Eigentümerin auswärts wohnte und das Objekt nicht brauchte. Die gute Geschäftslage stach insbesondere der tüchtigen Frau eines Autoschlossermeisters ins Auge und sie überzeugte ihren zunächst zögernden Ehemann, das Objekt zu kaufen. Neue Eigentümer wurden so die Eheleute Ludwig Friedrich Itschner und Elisabetha geb. Gelb. Um die Genehmigung zur gewerblichen Nutzung zu erhalten war es vordringlichste Aufgabe, den im Objekt lebenden vier Mietparteien andere Wohnungen zu beschaffen. Dieser Aufgabe widmete sich insbesondere Frau Itschner und es spricht für ihre Tüchtigkeit, dass sie das Problem trotz der seinerzeitigen Wohnungsnot nach wenigen Monaten gelöst hatte.

Umgehend wurde mit der grundlegenden Umgestaltung des Anwesens begonnen. Vorrang hatte dabei der gewerblich Teil, denn mit den umfangreichen Investition sollte und musste Geld verdient werden. Dementsprechend wurde zunächst das Erdgeschoß des Wohnhauses in ein Ladenlokal für den Handel mit Fahrrädern sowie Zubehör- und Ersatzteile auch für Mopeds und Autos umgewandelt, das ab 1955 von Frau Itschner geführt wurde. Ein Schlaglicht auf deren Fleiß und Geschäftstüchtigkeit wirft die Tatsache, dass das ebenfalls im Erdgeschoß verbliebene Wohnzimmer jeweils in der Adventszeit zwecks Bewältigung des Weihnachtsgeschäftes vorübergehend dem Laden angliederte wurde. Nach Schließung des Ladens am 24.12. (anfangs erst um 18 Uhr !) wurde dann in einem Großeinsatz aller Familienmitglieder der Raum wieder für die privaten Zwecke hergerichtet.

Im nächsten Schritt wurde die Scheune in eine Autowerkstatt umgebaut. Die vorher als Waschküche/Schlachthaus/Räucherkammer genutzten Räume sowie ein Teil der Stallungen nahmen Büro und Lager auf und das mitten im Hof stehende Plumpsklo wurde an die Grundstücksgrenze verlegt. Erwartungsgemäß florierten alle Teile des Gewerbebetriebes gut, obwohl die Genehmigung für den Bau einer Tankstelle an der Straßenseite verwehrt worden war. Der finanzielle Erfolg ermöglichte es, bereits Ende der 50er Jahre die Modernisierung des nunmehrigen Wohn- und Geschäftshauses in Angriff zu nehmen. Dabei wurde die Mauer zur Hofseite neu erstellt, verbunden mit dem Einbau neuer Fenster, Schaffung eines Badezimmers und Verlagerung der Toilette ins Haus. Auch die gesamte Energie- und Sanitärversorgung wurde modernisiert. Kaum war das geschafft, ging es im Hofbereich weiter, wo neue Räumlichkeiten für die ebenfalls seit längerem betriebene Fahrschule geschaffen wurden. So mancher Führerschein, für den dort die theoretischen Kenntnisse erworben wurden, wird heute noch genutzt.

Ludwig Friedrich Itschner hatte sein Leben lang hart gearbeitet und sich wenig gegönnt. So war er entschlossen, sich wenigstens einen Luxus zu leisten: mit 65 wollte er sich zur Ruhe setzen. Seiner Frau war das nicht so recht, doch er setzte sich durch und so wurden im Jahr

1962 die Autowerkstatt geschlossen; ein Pächter betrieb lediglich die Fahrschule weiter und Frau Itschner führte das Ladengeschäft noch bis 1970. Itschner verstarb im Jahr 1984 und seine Witwe lebte noch bis 1992 alleine im Haus, bevor sie wegen Pflegebedürftigkeit zu ihrer Tochter Elfriede umzog. Da im gleichen Jahr auch die Fahrschule geschlossen wurde, war es plötzlich sehr ruhig auf dem Gelände, welches vier Jahre lang ungenutzt blieb.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1996 fiel das Anwesen an die drei Kinder des Paares, Gudrun Gasch, Prof. Dr. Bruno Itschner und Elfriede Dietz-Itschner. Das Anwesen wurde geräumt und sollte renoviert und neu vermietet werden. Da kam überraschend ein Kaufangebot der Stadt, welche plante, die gesamte Hauszeile von Nr. 15 bis Nr. 19 abreisen zu lassen zwecks Bebauung mit einem großen Einkaufmarkt samt Tiefgarage. Die Geschwister waren bezüglich dieses Angebots unterschiedlicher Meinung und einigten sich schließlich darauf, dass die Jüngste und Letztgenannte des Trios Alleineigentümerin wurde.

Seither wird das Haupthaus gewerblich genutzt, wobei anfangs ein Pächter gleichzeitig als Modernisierer tätig war. Seit einigen Jahren wird dort eine renommiertes Schuhgeschäft betrieben, welches eine Bereicherung für den einheimischen Einzelhandel darstellt. Frau Dietz-Itschner, die nach eigenem Bekunden „überzeugte Hockenheimerin" geblieben ist, obwohl sie auswärts wohnt, achtet strikt darauf, dass die historisch wichtige Substanz im Hofbereich unangetastet bleibt. Aus heutiger Sicht sind wohl die meisten Bürger froh, dass die seinerzeitigen Umgestaltungspläne der Stadtverwaltung nicht verwirklicht werden konnten. Man versuche nur einmal sich vorzustellen, wie es heute dort aussehen würde....

Verfasser Horst Eichhorn, unterstützt von Elfriede Dietz-Itschner , Klaus Brandenburger und Herbert Reisinger .

Stand Juli 2011