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Baugeschichte

Das ganze Hockenheimer Gebiet westlich des Kraichbachs bis zum Abhang am Rande des Rhein-Tiefgestades dürfte aufgrund seiner besonders geeigneten Lage (seinerzeit noch hoher Grundwasserstand aber sicher vor Überschwemmungen) schon in den ersten Jahrhunderten nach der Stadtgründung gerodet und für die Feld- und Weidewirtschaft genutzt worden sein. Das erste und für lange Zeit einzige Gebäude aus Stein in diesem Bereich war die Zehntscheuer an ihrem ursprünglichen Standort mitten im Feld (Hof hinter den Häusern Zähringer Str. 32 - 36).

Als jedoch feststand, dass die Rheintalbahn gebaut würde und der Bahnhof bei seiner Einweihung im Jahr 1871 gut einen Kilometer vom Ortszentrum entfernt lag, wurde es ein Ziel der Stadtplaner, diese Flächen baldmöglichst bebauen zu lassen. Ein Großteil des Geländes am westlichen Ende der Karlsruher Straße dürfte Eigentum der Stadt gewesen sein; dass dort die städtischen Großbauwerke Gaswerk und Wasserturm gebaut wurden, stützt diese Vermutung. So ist davon auszugehen, dass der im Jahr 1883 erfolgte Verkauf eines großen Teils des Gewanns "Rechts der Speyerer Straße" (heute Bereich Karlsruher-, Werder-, Zähringer-, Bahnhof-Straße.) für nur 50 Mark (!) an den Maurermeister Johann Keller III. mit einer Art Erschließungsauflage verbunden war. Diese hat wohl lediglich die Vermessung der geplanten Straßenverläufe und künftigen Bauplätze umfasst, denn damals waren die Voraussetzungen für eine Infrastruktur in Form von Versorgungsleitungen in Hockenheim noch nicht gegeben. Möglicherweise umfasste die Verpflichtung auch eine erste Befestigung der neuen Straßentrassen.

Als diese Arbeiten abgeschlossen und von der Stadtverwaltung akzeptiert waren, konnte Johann Keller damit beginnen, Interessenten für die Vielzahl von neu geschaffenen Baugrundstücken zu suchen. Dabei dürfte er zumindest anfangs Käufer bevorzugt haben, welche auch Bauplanung (freie Architekten gab es auf dem flachen Land noch nicht) und -ausführung seiner Baufirma übertrugen. Seine Überlegungen haben sich wohl nur teilweise verwirklichen lassen, denn es dauerte fast 20 Jahre, bis wenigstens entlang dieses Teils der Karlsruher Str. erste Häuser entstanden. Trotzdem darf man wohl per Saldo von einer profitablen und damit gelungenen Grundstücksspekulation ausgehen. Seinerzeit hatte man offenbar mehr Geduld als heute. Zudem war es möglicherweise das erste Mal, dass in unserer Stadt ein Unternehmer als "Bauträger" tätig wurde, was wiederum ein Beweis für Aufbruchstimmung, Zukunftsglaube und wirtschaftliche Dynamik ist, welche seinerzeit im ganzen Deutschen Reich herrschten.

Entlang der Karlsruher Straße wurden neben gewerblichen Objekten erstmals in Hockenheim Mehrfamilienhäuser gebaut, die nicht nur den Wohnraumbedarf für die eigene Familie decken sollten, sondern zumindest teilweise auch für die Vermietung gedacht waren. Es entstanden aber keine reine Zweckbauten, sondern "stolze" Häuser, die bewusst eine neue Baukultur und moderne Baustile zeigen sollten. Zwar auf kleineren Baugrundstücken als früher üblich (man brauchte keine eigenen großen Gärten mehr) nahmen die Bauherren bewusst erheblich höhere Baukosten in Kauf um durch Erker, Türmchen, größere Fenster, höhere und größere Räume und Jugendstil-Applikationen Objekte entstehen zu lassen, die auch heute noch beeindrucken. Diese Entwicklung zeigt auch, dass zwar Nachfrage nach Mietraum bestand, die Interessenten aber auch anspruchsvoll geworden waren. Viele von Ihnen waren Zugezogene, die in mittleren bis leitenden Stellungen sowohl in Hockenheim selbst als auch bei auswärtigen Firmen tätig waren.

Das hier untersuchte Haus Karlsruher Str. 34 ist ein Paradebeispiel für die beschriebene Entwicklung. Der Bauplatz wurde 1900 gekauft (ob Johann Keller oder seine Erben die Verkäufer waren ist unbekannt), zwei Jahre später vererbt und im Jahr 1905 für 1.700 Mark erworben durch die bauwilligen Eheleute Franz Brand, Ratschreiber, und Anna Elisabeth geb. Krauth. Sie waren die Bauherren des Hauses, welches einen Blickfang darstellt insbesondere durch einen stattlichen Eckturm, hohe Giebel, aufwendige Fenstergewandungen aus Buntsandstein, einem hohen Sockel sowie schwungvoller Umfassungsmauer aus gleichem Stein. Die verputzten Außenwände bestehen aus Backsteinen. Holzskelett-Konstruktionen mit Mauerwerkausfachung bilden die Innenwände. Die Kellerdecken sind als Kappendecke ausgeführt, in der Art, dass Stahlträger mit flachem Backsteingewölbe ausgefacht werden. Die Decken der Zwischengeschosse bestehen aus Holzbalken mit Sandschüttung.

Nächster Eigentümer des Anwesens war Hugo Racurow, Werkmeister, an den es im Jahr 1919 für 22.000 Reichsmark überging. Vermutlich infolge der Weltwirtschaftskrise wurde er mit dem Objekt offenbar nicht glücklich, zumindest spricht dafür die Tatsache, dass es im Jahr 1934 im Zuge einer Zwangsversteigerung an die Bezirkssparkasse Hockenheim fiel. Nach langen Bemühungen wurde 1939 mit den Eheleuten Hermann und Elise Herold Käufer gefunden Diese nutzten das Anwesen selbst und hinterließen es über mehrere Erbgänge bis heute der Familie, jetzt in Person von Bettina Baumann.

Wann das Haus mit den heute üblichen Leitungen für Trinkwasser, Abwasser, Erdgas und Strom versehen wurde, ist nicht bekannt. Größere Umbauten zwecks Renovierung und Modernisierung wurden in den Jahren 1962 (Architekt Werner Baun) und 2006 (Architekt Harald Süß) durchgeführt und dabei die früher reine Wohnnutzung teilweise in gewerbliche Nutzung (Büros) überführt. Es hat jedoch nichts von seinem Charme verloren und ist nach wie vor eine Zierde der Stadt.