Untersuchungen zum Anwesen Karlsruher Straße 24 (frühere Volksbank)

Das zweite einheimische Kreditinstitut wurde am 1. Mai 1904 als „ Volksbank Hockenheim eGmuH“. (anfangs also unbeschränkte Haftung der Mitglieder; beschränkte Haftung erst ab 1941) gegründet. Angesichts der guten wirtschaftlichen Lage entwickelte sich die Bank rasch und hatte nach wenigen Jahren mit Raumnot zu kämpfen, wobei man bedenken muss, dass damals noch an Stehtischen gearbeitet wurde und nicht an bequemen Schreitischen, die viel mehr Platz brauchten. Für ein eigenes Bankgebäude reichten die vorhandenen Mittel nicht aus und so zerbrachen Vorstand und Aufsichtsrat der Bank den Kopf, wie man an geeignete Mieträume kommen könnte, die auch genügend Platzreserve für die absehbare Zukunft bieten sollten.

Die Lösung brachte ein kluger Vorschlag des Aufsichtsratsmitglieds Theodor Krämer. Dieser stammte aus Reilingen, hatte den alten Beruf des Baders gelernt, was eine Kombination zwischen einer Art Homöopath und Frisör war. Krämer hatte eine geborene Keller aus Hockenheim geheiratet und zog hierher um, weil im Elternhaus seiner Frau mehr Platz war. Bald zeigte sich, dass der junge Mann auch kaufmännisch begabt war, denn er erkannte, dass man mit dem Bauboom seiner Zeit gutes Geld verdienen konnte. Diese Erkenntnis, gepaart mit Fleiß und Ehrbarkeit, führten zum Aufbau einer florierenden Ziegelei in der Ketschau. Bald gehörte er zu den angesehensten Männern Hockenheims, was auch darin zum Ausdruck kam, dass er in den ersten Aufsichtsrat der Volksbank gewählt wurde.

Der Vorschlag, den Krämer Anfang 1907 machte lief darauf hinaus, dass er und seine Frau auf eigene Rechnung ein Gebäude erstellt und der Bank vermietet, verbunden mit einem Vorkaufsrecht für diese. Als Standort wurde der Platz neben dem Postgebäude auserkoren. Die Gesamtverwaltung war von dem Konzept rasch überzeugt und stimmte zu. Man einigte sich auf eine ab Bezugsfertigkeit geltende Mietdauer von 10 Jahren, verbunden mit einem Vorkaufsrecht zum Festkaufpreis von 30.000 Mark. Außerdem übernahm die Volksbank die teilweise Finanzierung.

Umgehend ging Theodor Krämer daran, mit den Eigentümern der Grundstücke an der Karlsruher Straße zu verhandeln und kaufte zusammen mit seiner Ehefrau zwischen Juli 1907 und August 1908 Flächen von insgesamt 20,99 ar zum Preis von 1,50 Mark zusammen. Daraus wurden zwei Bauplätze gebildet, wovon einer mit 12,43 ar für die Zwecke der Volksbank benötigt wurde (Karlsru her Str. 24) und der zweite mit 8,56 ar als Bauplatz für ein später zu bauendes Wohnhaus (Nr. 26) reserviert blieb.

Die Planungen für das neue Bankgebäude wurden abgeschlossen, die Genehmigungen eingeholt (was damals ziemlich lange dauern konnte), die für eine Bank nie einfache Vergabe der Gewerke durchgeführt und mit den Bauarbeiten begonnen. Das fertige Haus konnte 1911 bezogen werden. Entstanden war ein typisches Gründerzeithaus, das ganz der Zielstellung entsprach: funktional und gediegen aber nicht protzig. Für die Bankgeschäfte stand das Erdgeschoß zur Verfügung, während im 1. Obergeschoss eine großzügige Wohnung vom jeweiligen Direktor und im Dachgeschoß eine bescheidenere von der Hausmeisterfamilie bezogen wurde. Hinter dem großen Hofbereich entstanden eine Waschküche und ein „Schopfen“ (Schuppen). Jeder Wohnung war in den ersten Jahrzehnten außerdem ein Hühnerstall und ein Garten zugeordnet. Auf diese Weise zeigte sich hinter der stolzen Bankfassade, dass Hockenheim seinerzeit noch stark landwirtschaftlich geprägt war.

Sämtliche Mauern im Keller bestehen aus Ziegelsteinen; lediglich der äußere Sockel ist aus optischen Gründen mit Sandsteinen verkleidet. Auch alle anderen tragenden Mauern des ursprünglichen Gebäudes sind aus Ziegelsteinen gemauert. Die Kellerdecke wird von Eisenschienen getragen, deren Zwischenräume mit einem Lehm-Stroh-Gemisch und Sand ausgefüllt wurden. Im Kundenbereich kamen darüber Fließen, im internen Bankbereich Holzdielen. Unterfangen ist diese Konstruktion im Keller durch diverse Ziegelgewölbe. Einige Kellerräume waren heizbar, um dort lagernde Akten zu schonen. Die Zwischengeschoßdecken werden durch Holzbalken getragen, die Zwischenräume sind ausgefüllt mit Brettern, auf denen Sand ausgebreitet wurde, belegt mit Holzfußböden. Anlässlich eines späteren Umbaus wurden im Erdgeschoß Eisenträger unter den Balken angebracht.

Als eines der ersten Häuser in Hockenheim wurde es bei Erstellung an das damals gerade im Ausbau befindliche Trinkwassernetz angeschlossen. Für die Abwässer bestanden noch keine öffentlichen Leitungen, sodass eine aufwendige Sickergrube unter der Hofeinfahrt gebaut werden musste. Dort war später auch die Zufahrt zur ersten Garage, welcher an die Stelle eines Hühnerstalls trat.

Die klare Zeitplanung bezüglich der Zukunft des Anwesens wurde über den Haufen geworfen durch den ersten Weltkrieg bzw. Deutschlands Niederlage. Dem gewieften Vorstand der Bank sowie dem genauso cleveren Theodor Krämer war klar, dass die Währung des hoch verschuldeten Landes nicht zu retten war und so führten sie in einer Generalversammlung den Beschluss herbei, das Vorkaufsrecht auszuüben. Die Bank erwarb das bisherige Mietobjekt im März 1918 für den mit den Eheleuten Krämer bis zum Jahr 1921 vereinbarten Festpreis von 30.000 Mark. Die Verkäufer steckten das Geld ihrerseits umgehend in den Neubau eines Zweifamilien-Wohnhauses auf dem Nachbargrundstück, welches 1920 bezugsreif war (vgl. Abs. 4). Beide Seiten tauschten somit in kluger Voraussicht inflationsbedrohtes Bargeld gegen wesentlich krisenresistenteren Immobilienbesitz.

An dieser Stelle sind Erläuterungen angebracht zum Schicksal der Familie Krämer, denn durch einer ihrer Töchter ergab sich eine Konstellation, die Hockenheim vor großem Schaden bewahrte. Von den fünf Kindern der Eheleute Krämer erlebten drei Töchter das Erwachsenenalter. Eine davon, Louise, heiratet im Jahr 1920 den aus Mondfeld am Main stammenden Lehrer Ludwig Grein. Dieser tat zunächst vier Jahre Dienst in Rastatt, bevor seinem Gesuch auf Versetzung nach Hockenheim stattgegeben wurde. Das junge Ehepaar zog in das Zweifamilienhaus Karlsruher Str. 26, in welchem schon Louises Eltern wohnten. Der angesehene und mutige Ludwig Grein war es maßgeblich, der im April 1945 erreichte, dass die Stadt entgegen striktem Befehl nicht als „Festung“ verteidigt wurde, was ggf. sicher zur weitgehenden Zerstörung und vielen zivilen Opfern geführt hätte.

Einen weiteren Weltkrieg und deshalb erst 40 Jahre später wurden die Räumlichkeiten für den Bankbetrieb zu eng. Man löste das Problem durch einen geräumigen Anbau Richtung Garten, der ab 1958 genutzt werden konnte. Gleichzeitig wurde eine zusätzliche Garage dorthin gebaut, wo vorher der Hühnerstall des Bankleiter-Ehepaares war. Die Hoffnung, damit in räumlicher Hinsicht für einige Jahrzehnte vorgesorgt zu haben, erwies sich jedoch schon nach wenigen Jahren als Trugschluss, sodass es unausweichlich wurde, an anderer Stelle, in der Parkstraße, ein völlig neues und modernen Ansprüchen genügendes Bankgebäude zu erstellen.

Eine für beide Seiten glückliche Fügung war es, dass die benachbarte Post seinerzeit ebenfalls dringend mehr Platz brauchte und man wurde rasch handelseinig. Das Bankanwesen wurde im Jahr 1966 an die Bundesrepublik Deutschland (Deutsche Bundespost) verkauft, unter deren Lagebuchnummer zusammengelegt, bedarfsgerecht umgebaut und ab 1968 im Erdgeschoss für Postzwecke genutzt. Die Wohnungen in den Obergeschossen blieben erhalten und wurden an Mitarbeiter vermietet. Bis zu jener Zeit hatte das Bankgebäude drei Eingänge: einen für die Bankkunden direkt am Gehweg der Karlsruher Straße (jetzt Hauseingang), einen an der östlichen, zur Post hin gelegenen Seite, der als Zugang zum Treppenhaus diente und einen auf der Rückseite, der ebenfalls dorthin bzw. auf den zementierten Hof führte. Das änderte sich durch den Bau einer neuen Schalterhalle für die Postkunden, welche an die Stelle des zwischen beiden Gebäuden vorhandenen Gartens trat. Sie wurde 1968 in Betrieb genommen, war einstöckig aus Beton und Glas gebaut, rein funktional geplant und damit „ modern“, passte aber zu den beiden Altgebäuden wie die bekannte „Faust aufs Auge“, denn sie machte den vorher von diesen ausgestrahlten herben Charme zunichte. Diese Schalterhalle wurde im Jahr 2001 geschlossen und glücklicherweise im Jahr 2010 abgerissen. Seither sind beide Häuser wieder separate Einheiten. Die letzte Funktion des alten Volksbankgebäudes für postalische Zwecke endete im Jahr 2009, als der noch angemietete Briefträgerbereich ausgelagert wurde. Über die Hintergründe vgl. Ausführungen unter separater Objektbeschreibung zu „früheres Postgebäude“.

Im Rahmen der Zwangsversteigerung des gesamten früheren Postgeländes erwarben die Eheleute Lehmann aus Brühl im Jahr 2008 den früheren Volksbank-Teil, ließen das Gelände neu vermessen und wurden damit zu Eigentümern von rd. 16 Ar in bester Lage. Der relativ günstige Erwerbspreis hängt mit der Sanierungsbedürftigkeit der Gebäude zusammen, das derzeit mit viel Eigenleistung grundlegend saniert und zu einem reinen Wohngebäude umgebaut wird. In Zuge dessen wird auch etwa die Hälfte des einstöckigen Anbaus im Hof abgerissen und die Garagen renoviert. Mit der Fertigstellung des Gesamtvorhabens wird derzeit im Jahr 2011 gerechnet. Das vollständig sanierte und modernisierte Haus dürfte dann nach Jahren der Vernachlässigung mit neuer Nutzung zu altem Glanz zurückgefunden haben.

 

„Fassaden sind Heimat“ sagte kürzlich Bernd Blaufelder vom Bund Deutscher Architekten in einem Interview. Das ist sicher richtig, aber noch mehr gilt wohl die Aussage für Menschen, die hinter diesen Fassaden leben. Als Beweisführung möge es dem Autor dieser Objektbeschreibung erlaubt sein, ausnahmsweise einen sehr persönlich gefärbten Absatz einzufügen. Denn immer wenn ich dieses Haus sehe, überkommt mich dankbare Erinnerung an viele Monate meiner Kindheit, die ich in der recht geräumigen Dachwohnung verbrachte. Dort wohnten von 1940 bis 1964 meine „Dande Bawett“ (= Tante Babette =Barbara) und mein „Unggl Maddin“ (=Onkel Martin) mit ihren beiden Töchtern namens Linchen (Lina) und Hilde und es gehörte schon früh zu meinen Gewohnheiten, dort oft vorbeizuschauen, denn die Gastfreundschaft meiner Tante war sehr großzügig und die elterliche Wohnung nur einen Katzensprung entfernt. Als Hockenheim im Jahr 1945 von den Amerikanern besetzt wurde, beschlagnahmten diese vorzugsweise Wohnungen, die schon eingebaute Badezimmer hatten und so stand meine Mutter mit ihren sieben bzw. zwei Jahre alten Buben von heute auf morgen quasi alleine auf der Straße, denn ihr Ehemann lag schwer verletzt im Lazarett. Sie und mein jüngerer Bruder fanden Unterschlupft bei einer befreundeten Familie und ich bei meiner Lieblingstante. Während ihre Töchter, die wesentlich älter waren als ich, mich weitgehend ignorierten, verwöhnte mich ihre Mutter nach allen Regeln der Kunst. Sie fühlte sich für mich verantwortlich, denn schließlich war ich ein Sohn ihres jüngeren Bruders Otto. Wenn ich mal wieder etwas angestellt hatte, verteidigte sie mich vehement gegenüber ihren Mann (Typ raue Schale, weicher Kern), dessen Erziehungsgrundsätze noch aus dem Kaiserreich stammten. Als der mir einmal eine vermutlich wohlverdiente Tracht Prügel androhte, schrie sie ihn an: „wann dess Biewl olangsch grigschs mid mir zu du“ (wenn Du den Bub anfasst (=schlägst), bekommst Du es mit mir zu tun). Diese offenbar wirksame Drohung bewahrte mich ab sofort vor so mancher Ohrfeige. Nebenbei bekam ich erstmals eine Ahnung davon, welche Macht Frauen in einer Ehe haben können. Monatelang schlief ich erst im Bett des kriegsgefangenen Onkels, nach dessen Rückkehr zwischen den Beiden „im Gräwele“ („Graben“) des Ehebettes. Morgens gab es oft die mit großem Abstand besten „Greschdene“ (geröstete Kartoffeln) meines Lebens und auch viel Rührei, für das die Hühner im Stall hinter der Bank steten Nachschub garantierten. „D´ Aschgonie-Bawett“ (Barbara Askani) war nicht nur Putzfrau für Bankräume und Direktorenwohnung, sondern vertrat von 1943 bis 1946 zusätzlich auch ihren Mann in seinen Aufgaben als Hausmeister und „Mädchen für alles“. Der hatte sich nämlich mit 51 (!) Jahren unter erheblichem Druck von Nazis (er war langjähriger Sozialdemokrat) „freiwillig“ zum Wehrdienst gemeldet. Wenn nicht gerade Schulstunden, Bandenkämpfe mit dem Unterdorf, Obstbengeleien oder Streifzüge „zu de Amis“ (zu den Amerikanern) zwecks Abstaubens von Schokolade oder „Schwinggumm“ (Kaugummi) wichtiger waren, half ich ihr beim Staubwischen (abends und auch morgens!) ebenso wie beim Austragen der „Bankposchd“, was seinerzeit noch täglich zu Fuß erledigt wurde, und kam so in alle Ecken von Hockenheim. Sie kannte jeden, jeder kannte sie und der rege verbale Austausch in breitestem „Hoggemerisch“ führte dazu, dass sie eine der bestinformierten Bürgerinnen war. Heutzutage ist dieser schöne kurpfälzer Singsang leider kaum noch zu hören. Der liebevollen, aber durchaus auch bestimmten und fordernden Art meiner „Dande Bawett“ verdanke ich es, dass die schlimmen ersten Nachkriegsmonate für mich eine unbeschwerte Zeit war. Wie stark sie mich prägte, wurde mir erst viel später bewusst.

Auf dem benachbarten Grundstück der Familie Grein stand ab 1943 bei gutem Wetter oft eine „Kinnerschees“ (Kinder-Chaisse = Kinderwagen), deren Inhalt „Volker“ genannt wurde und manchmal recht laut schrie. Daraus entwickelte sich bald ein lebhafter kleiner Kerl und mit der Zeit ein regional sehr bekannter Architekt, der auch einige Jahre Mitglied des Aufsichtsrats der Volksbank war. Von ihm erfuhr ich, dass sein Urgroßvater jener Theodor Krämer war, der das Volksbankgebäude seinerzeit erbaute und nicht nur Aufsichtsrat, sondern sogar Gründungsmitglied war. So schließt sich ein Familien-Kreis, der als Beweis dienen kann für das anfangs Behauptete: „Menschen sind Heimat“.

 

Verfasser Horst Eichhorn unterstützt durch Mike und Alice Lehmann, Hilde Walter, Volker Grein, Jochen Kern und Wilhelm Roth.

Stand Juli 2011